Im Juni ist es wieder soweit. Dann gehe ich zu einer so genannten „Routine-Untersuchung“. Zweimal im Jahr lasse ich beim Zahnarzt meinen Kauapparat prüfen und reinigen. Das nennt man Prophylaxe.
Eine gute Gewohnheit
Besuche beim Zahnarzt mögen viele ja nicht. Lieber verschieben sie den Termin oder warten zu lange, bis es zu spät ist. Aua, der Zahn tut weh! Dann merken sie, dass es gute und schlechte Gewohnheiten gibt. Ich bevorzuge die gute Gewohnheit der Routine. Auch mein Zahnarzt ist routiniert, er beherrscht sein Handwerk und muss nicht groß darüber nachdenken, was er zweimal im Jahr mit mir anstellt.
Er kennt meine Problemzonen, das Alter der Füllungen, die er selbst ausgeführt hat und die Beschaffenheit meiner grundsoliden Reißzähne. Das alles hat er penibel auf den Kärtchen notiert, die er sich vor der Behandlung kurz anschaut. Nach höchstens 40 Minuten bin ich raus aus der Praxis. Diese Routine kann ich hervorragend in meinen Terminkalender integrieren, weil ich das Procedere einschätzen kann. Gute Routine.
Langweilig?
Warum erzähle ich diese langweilige Geschichte aus meinem Alltagsleben? Nicht, weil sie langweilig ist. Sondern höchst aufschlussreich. Der Begriff der Routine genießt ja kein großes Ansehen in unserer dynamischen, von Innovation und Disruption geprägten Zeit. Wir denken eher an dröge Verwaltungsbeamte, ruppige Busfahrer oder traurige Arbeiter am Fließband, die stets dieselben Handgriffe tun, um ihre (vermeintlich) eintönige Tätigkeit zu verrichten. Dabei arbeiten sie jedoch höchst effizient.
Gerade in der industriellen Großproduktion wird durch Arbeitsteilung in spezialisierten Prozesseinheiten Geschwindigkeit und Genauigkeit gesteigert – der Apparat läuft rund. Der Soziologe und Gesellschaftstheoretiker Niklas Luhmann hat diese Prozesse bereits 1964 in einer grundlegenden Publikation untersucht.
Das Buch heißt „Funktionen und Folgen formaler Organisation“. Dort schreibt er: „Die kontinuierliche Verrichtung derselben Tätigkeit lässt die speziellen Fähigkeiten dafür wachsen; sie verringert den Verlust an Zeit und Energie, der durch Umstellung von einer Tätigkeit auf andere eintritt, und sie entlastet die Personalanforderungen des Systems.“
Vorsorgend und zeitsparend
Hört sich als analytisch versierter Unternehmer erst mal gut an. Luhmann spricht hier allerdings von Beamten und der Großindustrie. Was ist mit Dienstleistern, Produktentwicklern, Unternehmenslenkern? Sie müssen individuell, situativ und marktsensibel agieren können und nach vorne blicken. „Das haben wir immer schon so gemacht“ funktioniert hier nur bedingt. Und dennoch kann Routine vorsorgend (wie beim Zahnarzt) und zeitsparend (wie in der Großproduktion) eingesetzt werden.
Insbesondere im Zeitmanagement und im Controlling macht sich das bezahlt. Die Herleitung aus dem französischen Wort für „Weg“ verdeutlicht die Verantwortung, die ein Unternehmer bewusst übernimmt, wenn er die „Route“ für seine Unternehmung und seine Mitarbeiter nicht nur festlegt, sondern konsequent verfolgt – eben „routiniert“ abarbeitet. Auch hier gilt: Routine ist gut. Es ist automatisch genutzte Erfahrung.
Der Killer heißt Selbstzweck
Luhmann kennt natürlich auch die negative Seite. Nämlich dann, wenn Regeln zum Selbstzweck werden. Wenn niemand mehr die Frage beantworten kann, warum Dinge so gemacht werden, wie sie immer schon gemacht wurden. Augenfällig zutage tritt das im Beamtentum, das so gerne belächelt wird – und einen in den Wahnsinn treiben kann, wenn man als Unternehmung durch dort erfolgte Weisungen selbst betroffen ist.
Starr, uneinsichtig, realitätsfern oder einfach nur Banane: Wie oft haben Sie sich schon über den Amtsschimmel aufgeregt? Nicht ohne bissige Ironie bemerkt Luhmann: „Diese bedauerliche Neigung kann durch die Schwäche der menschlichen Natur, den eigentümlichen Berufshabitus des Beamten, sein extremes Sicherheitsbedürfnis oder auch durch die einschläfernde Wirkung der Routine selbst erklärt werden.“ Treffer!
Pahnke sagt
Damit es nicht soweit kommt: Prüfen Sie, ob Routine in Ihrem Unternehmen und/oder in Ihrer eigenen Tätigkeit nicht zum Selbstzweck ausartet. Fragen Sie sich, ob Sie solche Situationen überhaupt noch erkennen können – oder ob Sie einen Blick von außen benötigen. Mit einem Wort: Gehen Sie zur Prophylaxe! Es hilft.
Über Stefan Pahnke
"Seit 25 Jahren gestalte und führe ich Organisationseinheiten und Teams so, dass Ziele tatsächlich erreicht werden. Von kleinen Projekten bis hin zu einer Milliarde EUR Auftragswert und von der Verantwortung für wenige Mitarbeiter bis hin zur Leitung von 500 Mitarbeitern und mehr: Mit meiner Unterstützung erreichen Sie Ihre Ziele!"
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